Und sie sind wirklich nicht echt? Wenn man die gläsernen Pflanzenmodelle betrachtet, die die Glasbläser Leopold und Rudolf Blaschka vor etwa 150 Jahren für wissenschaftliche Zwecke anfertigten, kann man schon einmal ins Grübeln kommen. Doch die filigranen Blüten, Blätter und Stängel sind tatsächlich „nur“ gläserne Schönheiten! Dass solche Pflanzenmodelle aus Glas in dieser Zeit entstanden, kommt nicht von ungefähr. Sensationelle Entdeckungen aus aller Welt prägten die Epoche, sodass sich eine regelrechte Welle der Begeisterung für Naturwissenschaften in weiten Teilen der Bevölkerung breitmachte. Man wollte die neu entdeckten Pflanzen aus nächster Nähe sehen, und da nicht jeder sich Herbarien oder gar ein Gewächshaus für echte exotische Pflanzen leisten konnte, kamen die gläsernen Pflanzenmodelle den neu entstehenden Naturkundemuseen und ihren Besuchern gerade recht.
Die Blumen, die immer blühten, aber auch Glasmodelle von Meerestieren, stammten aus der Werkstatt von Leopold Blaschka und seinem Sohn Rudolf, der den Betrieb noch bis ins Jahr 1939 hinein weiterführte. Vater Blaschka war ein gelernter Goldschmied und Glasbläser. Zunächst verdiente dieser den Lebensunterhalt für seine Familie und sich durch die Anfertigung von Glasaugen sowie durch Arbeiten mit Metallen und Edelsteinen. Hierbei entwickelte er eine spezielle Technik im Umgang mit farbigem Glas, die bis heute von Fachleuten nicht vollständig entschlüsselt werden konnte. Den Anstoß dazu, Pflanzen und Tiere aus Glas herzustellen, soll einem Engländer zu verdanken sein. Dieser wollte 1863 von Leopold Blaschka erfahren, ob er in der Lage sei, für ein Aquarium Seeanemonen aus Glas zu blasen, „da diese Tiere so vergänglich sind“. Blaschka machte sich ans Werk, hatte Erfolg und widmete sich fortan ausschließlich der Herstellung gläserner Tiere und Pflanzen.
Gerade weil es so schwierig war – und immer noch ist – botanische Fundstücke so zu konservieren, dass sie ihre ursprüngliche Schönheit behalten, waren die Glasmodelle der Blaschkas besonders beliebt als Anschauungs- und Studienmaterial an Schulen und Universitäten. In einem eigenen Katalog boten die Blaschkas ihre Arbeiten zudem für „maritime Aquarien“ und als „eine Zierde für elegante Zimmer“ an. In ihrer Werkstatt entstanden Pflanzen, die frisch der Natur entnommen zu sein schienen und so gar nichts mit den vergilbten, gepressten Pflanzen eines in die Jahre gekommenen Herbariums zu tun hatten.
Leider haben sich in Europa kaum Zeugnisse der Blaschkaschen Glaskunst erhalten. Viele Glasmodelle fielen falscher Lagerung, unsachgemäßem Transport und den Kriegswirren zum Opfer. In Amerika jedoch gibt es noch heute eine relativ große Sammlung von Blaschka-Glasmodellen im Harvard Museum of Natural History an der Harvard University. Diese Sammlung zählt zu den beliebtesten der Universität und zieht jedes Jahr mehr als 10.000 Besucher in ihren Bann. Im Museum kann man riesige gläserne Palmblätter bestaunen, die so aussehen, als habe man sie eben erst am Naturstandort gesammelt. Äste voller natürlich wirkender Äpfel gehen eine spannende Nachbarschaft mit unglaublich filigranen Gräsern ein – und alles ist tatsächlich aus Glas! Sämtliche Nutz- und Zierpflanzen, die der staunende Besucher hier erblickt, scheinen frisch vom Beet oder Acker oder gar aus einer fernen, exotischen Welt zu stammen. Zum Greifen nah und derart lebensecht wirken die botanischen Modelle, dass man erstaunt ist, dass der gläserne Apfel so gar nicht nach frischem Apfel riechen will. Alles haben die Blaschkas in Glas gebannt:
Rosen und Orchideen ebenso wie Moose oder Farne, Aprikosen, Kornblumen, Lilien, Kakteen oder Kiefernzapfen – 4.000 Modelle nennt Harvard sein Eigen. Dass die Kuratorin diese Sammlung als „Sixtinische Kapelle der Glaskunst“ bezeichnet, kann da kaum verwundern! Doch warum gibt es heute niemanden mehr, der botanische Modelle aus Glas anfertigt? Bedarf hierfür gäbe es bei Naturkundemuseen oder Gartenfreunden sicherlich. Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Das Geheimnis um die besondere Herstellungstechnik so lebensecht wirkender Pflanzenmodelle nahmen Vater und Sohn Blaschka mit ins Grab. Es gab keine Erben, die die Familientradition hätten weiterführen können und Lehrlinge hatten die Glasbläser nie ausgebildet. So endete mit dem Tode Rudolf Blaschkas 1939 ein besonderes Kapitel der Glasbläserkunst. Dieses Erbe pflegt heute ein Verein; er hat das Blaschka-Haus in Dresden in ein Museum umgewandelt, um die Erinnerung an Leben und Werk der beiden Glasbläser lebendig zu halten. In den USA weiß man das Vermächtnis von Leopold und Rudolf Blaschka übrigens immer noch zu schätzen: Die Harvard University kommt bis heute für die Kosten der Pflege der Familiengrabstätte auf dem Friedhof in Dresden- Hosterwitz auf!