Der (zu) unbekannte Gartenkünstler von Wörlitz

Fast 60 Jahre lang regierte Fürst Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) und genau diese Zeit nutzte er auch, um im heutigen Sachsen-Anhalt sein „Gartenreich Dessau-Wörlitz“ Wirklichkeit werden zu lassen. Dabei ist der Begriff „Gartenreich“ wirklich sehr treffend, denn Fürst Franz schuf nicht nur einen Park, sondern gleich eine ganze Gartenlandschaft aus mehreren Parks, bestehend aus Schloss und Park Wörlitz, Großkühnau, Luisium und Georgium in Dessau sowie Schloss Oranienbaum. Dort setzte er in Gartenbildern um, was er auf seinen Studienreisen nach Italien, Frankreich, in die Schweiz, nach Holland und England gesehen hatte. Als fachkundigen Begleiter auf seiner so genannten „Kavalierstour“ hatte er sich seinen Freund, den Architekten Friedrich Wilhelm Freiherr von Erdmannsdorff erwählt. Ihre Erkenntnisse aus den umfassenden kulturhistorischen und ökonomischen Studien während der Reise setzten die beiden Gartenfreunde sogleich im ganzen Fürstentum Anhalt-Dessau in die Tat um! Tiefgreifende Reformen in Bildung und Gesundheitswesen, aber auch in der Land- und Forstwirtschaft machten das Land nun zu einer Art „Musterländle“ unter den Kleinstaaten Deutschlands. Auf einer Fläche von gut 200 Quadratkilometern wurden Landwirtschaft und Gartenbau nach den damals modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen betrieben. Von diesem umfangreichen Reformprogramm profitierten auch die Untertanen, die ihrem „Vater Franz“, wie sie den Fürsten bald nannten, aus tiefstem Herzen ergeben waren.

Von Erdmannsdorff und Fürst Franz waren vor allem auch ein geniales Gespann bei ihrem Bestreben, einen neuen Gartenstil im Fürstentum einzuführen, den sie in England erlebt und genossen hatten. Damit zählen die Parkanlagen des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches zu den ersten landschaftlichen Parks englischen Stils auf europäischem Boden! Dabei ließen sich der Fürst und von Erdmannsdorff gestalterisch insbesondere von der Philosophie Jean-Jacques Rousseaus, der Ästhetik Johann Georg Sulzers und der Kunsttheorie Johann Joachim Winckelmanns inspirieren. Die Parks, die nun in Dessau und Wörlitz entstanden, hatten daher nicht allein dem Vergnügen der Hofgesellschaft zu dienen: In dem grünen Paradies des Fürsten Franz verbanden sich Schönes und Nützliches, die Anlagen sollten ihre Besucher nicht nur erfreuen, sondern auch bessern und belehren. Und so war es nur folgerichtig, dass sämtliche Parks von Beginn an für alle Untertanen zugänglich waren. So konnte der Parkbesucher, wenn er durch das Gartenreich flanierte, Gebäude der unterschiedlichsten Baustile Europas für sich entdecken: Durch die Parks spazierend, boten sich dem Wanderer reizvolle Ausblicke auf Pavillons und Kirchenbauten, Tempel, Statuen, Ruinen und kleine Villen. Bedenke man allein die 17 Brücken im Wörlitzer Park! Jede ist in einem anderen Stil gebaut und hat eine ihre besondere Bedeutung – wer sie überschreitet, überschreitet so mehrere Jahrhunderte Brückenbaugeschichte. Sogar einen kleinen Vulkan, der wirklich ausbrechen konnte (und es heute alle paar Jahre auch tun noch darf) gibt es als Erinnerung an eine Italienreise des Fürsten im Wörlitzer Park zu sehen! Auch wer heutzutage durch das Gartenreich spaziert, kann sich nicht sattsehen an dem ‚zum Park gewordenen Reisetagebuch‘ des Franz von Anhalt-Dessau, das zu Recht zum Unesco-Welterbe zählt. Schon der gärtnernde Fürst Charles Joseph de Ligne hatte seine Zeitgenossen zu einer Reise in das Gartenreich ermuntert: „Gärtner, Maler, Philosophen, Dichter – geht nach Wörlitz“. Hier gipfele die europäische Gartenkunst in den „Tempeln des Geschmacks und der Wohltätigkeit“, hier erlebe man eine Gartenkunst, die Franz zu ihrem Höhepunkt geführt habe. Und der süddeutsche Publizist Wilhelm Ludwig Weckherlin ergänzte: „Was für ein anziehender Ort ist dieses Dessau. Nirgends findet man den Mittelpunkt des Einfachen und Erhabenen so sehr. Niemals haben sich Philosophie und Künste in einem kleinern Ort vereinigt. Vielleicht gibt es auf der kultivirten Erde keinen Flek, welcher den Blik des denkenden und empfindsamen Reisenden so sehr verdient, welche die Einbildungskraft mehr beschäftigt und so viel Gegenstände der Bewunderung enthält.“