Einst schmückte dieses Mosaik den Speisesaal einer Villa auf dem Aventin in Rom zu Zeiten Kaiser Hadrians. Heute befindet es sich in den Vatikanischen Museen. Doch was sehen wir eigentlich auf dem Mosaik des Herakleitos? Es besteht aus zahllosen kleinen Steinen, aber auch aus Glas und farbiger Emaille. Man erblickt einen Fußboden, wie er nach einem aufwändigen Festbankett im Speissaal einer Villa tatsächlich ausgesehen haben muss. Dort sind eine Vielzahl an äußerst naturalistisch gestalteten Speiseresten zu sehen: Früchte, Fischgräten und Fischhäute, Geflügelknochen, Weichtiere, Muscheln und Schalen von Krebstieren und Seeigeln, die damals auch auf dem Speiseplan standen. An einer anderen Stelle verspeist eine Maus den Inhalt einer offenen Walnussschale! Der Mosaizist verstand das Spiel mit den natürlichen Farben der dargestellten Speisereste meisterlich. Außerdem wirft jedes Stückchen Abfall einen „Schatten“, sodass die Darstellung plastisch und räumlich wirkt.
Doch warum gaben die Besitzer der Villa einen solchen Fußboden in Auftrag? Einerseits war er sicher ein Ausdruck des Stolzes, dass man sich aufwändige Gastmähler mit erlesenen Speisen wie denen, deren Reste der Betrachter zu Gesicht bekommt, überhaupt leisten konnte. Vielleicht kam aber auch ein gewisses ironisches Augenzwinkern des Auftraggebers hinzu: Denn in einem so reichen Haus hätte es sich natürlich keinesfalls geziemt, dass der beim Mahl entstandene Schmutz so dauerhaft liegenblieb, dass sich sogar Mäuse darüber hermachen konnten! Sehen wir den Boden vielleicht gar in einer Essenspause, die die Gäste gerade eingelegt haben, als die Sklaven noch keine Gelegenheit hatten, den Boden zu fegen und zu reinigen?
Ein Mosaik wie dieses bot den Gästen einen guten Anlass, sich über das Gesehene auszutauschen. Welch edle Speisen hatte ihnen ihr Gastgeber kredenzt? Und man konnte sich natürlich auch trefflich darüber unterhalten, welche der Lebensmittel auf dem „ungefegten Boden“ beim Mahl tatsächlich angeboten worden waren und welche man den Gästen vielleicht vorenthalten hatte. Sicherlich hat Herakleitos ein solch aufwändiges Mosaik nicht allein hergestellt, sondern beschäftigte dafür Handwerker in seiner Werkstatt, denn es galt ja nicht nur, die schier unendliche Zahl von Mosaiksteinchen zu verlegen, sondern sie überhaupt erst einmal aus Glas, Tonscherben oder Stein herzustellen. Sicher werden Gehilfen die einfachen Szenen des Mosaiks angefertigt haben, während ihr Meister die künstlerisch besonders aufwändigen Einzelbilder (sog. „Emblemata“) anfertigte. Das Mosaik, das 1833 bei Grabungsarbeiten in der Nähe der Porta Ardeatina ans Tageslicht kam, wurde von seinem Schöpfer stolz signiert: „ΗΡΑΚΛΙΤΟΣ ΗΡΓΑΣΑΤΟ“ – auf Deutsch: „Herakleitos hat es erschaffen“. Damit ist es eines der wenigen Mosaike aus antiker Zeit, dessen künstlerischen Schöpfer wir namentlich kennen, denn nur sehr wenige der bis heute erhaltenen antiken Mosaikwerke tragen eine Signatur. Wie kurios, dass ausgerechnet der Name eines Künstlers bis in die Jetztzeit überkommen ist, der ein durch und durch weltliches Motiv darstellte: einen Fußboden, über und über bedeckt mit Speiseresten!