Wenn ein „Grünes Weltwunder“ bis in die Gegenwart wirkt

Was hat ein antikes Weltwunder, von dem man nicht einmal sicher weiß, ob es je existiert hat, mit moderner Stadtplanung zu tun? Fest steht, dass die „Hängenden Gärten von Babylon“, seitdem von ihnen berichtet wird, ein stetiger Quell sowohl von Faszination als auch von Irrtümern waren. Mit diesem Mythos, dessen möglichem Wahrheitsgehalt und seinen Auswirkungen bis hin zur Stadtplanung der Gegenwart beschäftigt sich das Buch „Die Hängenden Gärten von Babylon“ des Düsseldorfer Gartenhistorikers Stefan Schweizer. Es ist spannend zu lesen, wie die mysteriösen Gärten in Form von Texten antiker Autoren allmählich aus dem Dunkel der Geschichte „geboren“ werden und schon bald wegen ihrer eigentlichen Unmöglichkeit (der Existenz eines grünenden und blühenden Gartens in einer der heißesten Gegenden der Erde) schon bald in den Rang eines Weltwunders erhoben werden. Seit dem Mittelalter und der Renaissance gehörten die Hängenden Gärten, ob sie nun existiert haben oder nicht, fest zum literarischen Bildungskanon der europäischen Kulturgeschichte. Mit Beginn der frühen Neuzeit werden die Hängenden Gärten immer häufiger auch zum Gegenstand bildlicher Darstellungen und erster architektonischer „Nachahmungs“-Versuche, was ihrer phantastischen Wirkmächtigkeit einen wichtigen weiteren Schub verlieh, der bis in die Gegenwart nicht abgeebbt ist. Im Gegenteil: In jüngster Zeit entstehen auf dem ganzen Globus begrünte Gebäude, deren Erbauer sich häufig erneut den antiken Mythos der Hängenden Gärten von Babylon als Marketing-Instrument zunutze machen. Faszinierend bleibt auch bis in die Gegenwart die sagenhafte altorientalische Königin Semiramis, der als vermeintlicher Schöpferin die sagenhaften Gärten noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zugeschrieben wurden. Sie wurde bewundert und als Hure verteufelt und hat so manchen Literaten und Filmregisseur zu seinem Werk inspiriert. Obwohl wissenschaftlich wie gewohnt bestens recherchiert, ist Stefan Schweizers Buch über die Hängenden Gärten ein intellektuelles Vergnügen für den kultur- und gartenhistorisch interessierten Leser!

Stefan Schweizer: Die Hängenden Gärten von Babylon. Vom Weltwunder zur grünen Architektur.  Mit einem Beitrag von Frank Maier-Solgk, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020.