Von Flower Fairies und Rosenelfen

Haben Sie als Kind an Elfen geglaubt und dann doch nie im heimischen Garten oder im Wald einen Blick auf sie erhaschen können? Vielleicht ging es auch Cicely Mary Barker (1895 –1973) so, und daher goss sie vor etwa 100 Jahren ihre phantasievollen Vorstellungen vom Elfenvolk in zarte Zeichnungen, die noch heute ihre Fans haben und häufig kopiert worden sind. Jede ihrer „Flower Fairies“ wurde von einem Gedicht oder Vers sowie einer botanisch akkuraten Pflanzenzeichnung begleitet, für die Elfen standen Kinder aus dem Kin­dergarten von Cicelys Schwester Modell.

Nach Veröffentlichungen wie „The Coming of the Fairies“ von Sir Arthur Conan Doyle und „Peter Pan“ von J. M. Barrie hatten sich um die Wende des letzten Jahrhunderts Feen zu einem beliebten Motiv in Kunst und Literatur entwickelt. 1918 gab Barker zunächst eine Postkartenserie mit dem zarten Blumenvolk heraus, veröffentlichte dann 1923 das Büchlein „Blumenfeen des Frühlings“, dem 1925 die „Blumenfeen des Sommers“ und 1926 schließlich die des Herbstes folgten. Künstlerisch war Barker von der Schule der Präraffaeliten inspiriert und so schrieb sie über ihre Kunst: „Ich werde in gewissem Maße von ihnen beeinflusst – nicht in irgendeinem technischen Sinne, sondern in der Wahl des Themas und des Gefühls und der Atmosphäre, die sie erreichen konnten“.

Die Künstlerin arbeitete meist in Aquarellfarben mit Feder und Tinte und trug stets ein Skizzenbuch bei sich, um interessante Kindergesichter aufs Papier zu bringen. Die Blumen für ihre Feendarstellungen studierte sie mit einem analytischen Auge und legte Wert auf botanische Genauigkeit. Die Pflanzen malte sie nach Möglichkeit von frischen botanischen Fundstücken. Waren solche nicht zur Hand, so stellten ihr Freunde aus dem botanischen Garten „Kew Gardens“ die benötigten Pflanzen-„Modelle“ zur Verfügung. Die Kostüme ihrer Blumenfeen entwarf und schneiderte Barker übrigens selbst – jeweils passend zu denjenigen Blüten und Blättern der Pflanze, die sie sich zu zeichnen vorgenommen hatte. Daher sammelte sich im Laufe der Jahre ein Fundus von zahllosen Kostümen sowie Elfenflügeln aus Zweigen und Gaze in ihrem Atelier. War das betreffende Bild gemalt, zerlegte die Künstlerin häufig das Kostüm in seine einzelnen Teile, um es bei Bedarf für ein anderes Elfengewand wiederzuverwenden.

Ein Buch über die „Blumenfeen des Winters“ hat es zu Barkers Lebzeiten übrigens nie gegeben. Erst lange nach ihrem Tod wurde aus der künstlerischen Hinterlassenschaft das fehlende Buch mit Elfen des Winters zusammengestellt und 1985 veröffentlicht. Feen und Elfen waren übrigens nicht nur in England en vogue. Auch in Deutschland begeisterte man sich früher für das sagenhafte kleine Wald- und Gartenvolk. So ist etwa von Hans Christian Andersen die zarte kleine Geschichte „Der Rosenelf“ überliefert. Ob Cicely Barker sie wohl kannte?

 

Hans Christian Andersen (1805 – 1875): „Der Rosenelf“

„Inmitten eines Gartens wuchs ein Rosenstrauch, der war ganz voller Rosen, und in einer davon, der schönsten von allen, wohnte ein Elf; er war so winzig klein, dass kein menschliches Auge ihn sehen konnte, hinter jedem Blatt in der Rose hatte er eine Schlafkammer. Er war so wohlgestalt und hübsch, wie ein Kind nur sein konnte, und hatte Flügel an den Schultern, hinab bis zu den Füßen. Oh, es war ein Duft in seinen Zimmern, und wie hell und schön waren die Wände! Sie waren ja die feinen hellrosa Rosenblätter“.