Von Dickköpfen und hohen Palmen

Bereits die Steinzeitmenschen bereicherten ihren Speiseplan mit dem nahrhaften Wildkohl und dessen ölhaltigen Samen. Noch heute wächst dieser Wildkohl (Brassica oleracea) an den Gestaden des Mittelmeers und der Nordsee. Vor allem auf der Insel Helgoland kann man die dickfleischigen Blätter des Kreuzblütengewächses finden. Eine dicke Wachsschicht sorgt dabei für den nötigen Schutz vor den feucht-salzigen Winden. Schon bald wurde der Kohl vom Menschen nicht nur gesammelt und geerntet, sondern auch in Kultur genommen. So entstanden im Laufe der Zeit verschiedenartigste Kohlsorten, die sich heute in den unterschiedlichsten Zubereitungsformen auf unseren Tellern tummeln:

Der Wildkohl oder Klippenkohl mit seinen filigranen gelben Blüten gilt als Stammvater unserer heutigen Kohlsorten. Am häufigsten wird in Deutschland der Weißkohl angebaut –allein im Landkreis Dithmarschen, Europas größtem zusammenhängendem Kohlanbaugebiet, werden jährlich 80 Millionen Köpfe an Weißkohl, Rotkohl und Wirsing geerntet. Aus dem Raum um Stuttgart hingegen stammt eine besondere Weißkohlart, der Spitzkohl (Filderkraut), aus dem vor allem Sauerkraut gemacht wird. Zu den Kopfkohl-Sorten zählt auch der Rotkohl (Rotkraut, Blaukraut), der sich je nach pH-Wert des Bodens eher rot, blau oder lila färbt. Den Wirsing (Welschkohl) erkennt man an seinen markanten, krausen Blättern – er ist erst seit dem 18. Jahrhundert bei uns zu Hause. Wahrscheinlich waren es die Kreuzfahrer, die den Samen des Blumenkohls im 16. Jahrhundert mit nach Italien brachten. Anders als seine Verwandten bildet er bereits im ersten Jahr den Blütenstand aus, der dann bei uns verspeist wird. Als Variante bekommt man bei uns immer häufiger den Romanesco (Türmchenkohl) zu kaufen, der mit seinen hellgrünen stark strukturierten Blütenknospen an ein Kunstwerk erinnert. Ebenfalls verwandt ist der Brokkoli, der wohl ursprünglich aus Kleinasien zu uns gekommen ist.

Für den, der in Norddeutschland wohnt, ist der Grünkohl ein kulinarisches Muss! Je nach Region wird er dort auch als Braunkohl bezeichnet und meist mit Mett- oder Bregenwurst serviert. Am besten schmeckt er bekanntlich nach dem ersten Frost, wenn sich seine Blätter mit mehr Traubenzucker angereichert haben. Eine regionale Variante ist die „Lippische Palme“, die bis zu zwei Meter hoch wird und von der man nur die oberen Blätter verspeist. Auffällig ist die bräunlich-violette Färbung an den Blättern und am Stamm. Des einen Lust, des anderen Schrecken ist der Rosenkohl, das kleinste Mitglied der Kohlfamilie. Er kam Ende des 18. Jahrhunderts in Belgien auf und wurde deshalb früher oft „Brüsseler Kohl“ genannt. An seinem Stamm entsprossen in den Blattachsen der großen dunkelgrünen Blätter bis zu 100 kleine Röschen. Auch der Kohlrabi ist ein Mitglied der Kohlfamilie, doch bei ihm landen nicht die Blätter, sondern der verdickte, oberirdisch gebildete Hauptstängel auf dem Teller. In Asien dient der Chinakohl schon seit gut 1.500 Jahren als eines der Hauptnahrungsmittel. Nach verwandt ist er mit dem Pak Choi, ohne den das koreanische Koreas Nationalgericht Kimchi undenkbar wäre. Bei uns auch als „Senfkohl“ bekannt, sieht er dem Mangold recht ähnlich.

Im alten Griechenland waren lediglich zwei Blattkohlsorten bekannt. Nach antikem Glauben war der Kohl aus einem Schweißtropfen des Göttervaters Zeus hervorgegangen. Den Römern galt der Kohl gar als Allheilmittel für viele Krankheiten. In den Gärten Mitteleuropas ist der Kohl etwa seit dem Mittelalter belegt – viele der heute bekannten Kohlsorten wie etwa Rot- und Weißkohl entstanden erst in dieser Zeit. Um die gesunden Eigenschaften des Kohls wussten auch die großen Entdecker: Da Kohl viel Vitamin C enthält, nahmen die Holländer auf ihren Weltumseglungen im 17. und 18. Jahrhundert reichlich Sauerkraut mit auf Reisen und konnten so Mangelerscheinungen bei der Besatzung vorbeugen. Auch Kapitän James Cook soll bei seiner dreijährigen Südseereise keinen Mann durch Skorbut verloren haben. Um kaum ein anderes Gemüse rankt sich so viel Aberglaube wie um den Kohl. Ausgesät werden musste an einem wichtigen christlichen Feiertag wie Gründonnerstag oder Karfreitag, zumindest aber am Gedenktag eines wichtigen Heiligen. Wenn bei der Saat die Glocken läuteten, waren Kohlköpfe „so groß wie Glocken“ zu erwarten. Andere vertrauten gar auf große Kohlköpfe, wenn sich zuvor Schwangere darauf gesetzt hatten. Vor der Aussaat weichten die Bauern die Samen in Weihwasser ein und ließen den Pfarrer einen „Wurmsegen“ sprechen, damit das Gemüse von gefräßigem Getier verschont bleiben sollte. Und als Schutzheiliger der Kohläcker galt lange Zeit pikanterweise der geköpfte Heilige Bartholomäus!

Heute ist der Kohl – neben Kartoffeln, Möhren und Spargel – eines der am häufigsten angebauten Gemüse Deutschlands. Und dies hat seinen guten Grund. Kohl punktet mit vielen wertvollen Inhaltsstoffen (z.B. Beta-Karotin, Vitamine, Folsäure, Mineralstoffe und Spurenelemente) und gleichzeitig wenig Kalorien. Zudem enthält er zahlreiche sekundäre Pflanzenstoffe wie z.B. Flavonoide und Glucosinolate, von denen eines Krebs hemmend, das andere antibakteriell wirken soll. Als streng riechendes „Arme-Leute-Essen“ war der Kohl lange aus deutschen Küchen verbannt. Doch seitdem sich in den letzten Jahren namhafte Spitzenköche der schmackhaften und vielfältigen Kohlgemüse angenommen haben, erlebt der Kohl wieder eine Renaissance. Und so mag so mancher europäische Nachbar, der die Kohl und Sauerkraut essenden Deutschen noch als „Krauts“ belächelt, sich bald gastronomisch eines Besseren belehren lassen!

(erschienen in: Blätterrauschen 40, Frühjahr 2012)