Gesund, bitter und unausrottbar – der Löwenzahn

Wenn Prähistoriker nach menschlichen Siedlungsplätzen vergangener Zeiten suchen, werden sie oft an Stellen fündig, wo der Löwenzahn üppig gedeiht, denn Taraxacum officinale liebt stickstoffreiche Böden, die auf menschliche Hinterlassenschaften aller Art hinweisen. Mit seiner langen Pfahlwurzel, seinen gefalteten Blättern, die Regenwasser an die Blattrosette leiten, und seiner üppigen Versamung ist der Löwenzahn fast unausrottbar. Er kann – selbst ohne Staubbeutel und Narben – Früchte bilden. Diese Fähigkeit zur „Jungfernzeugung“ machte ihn zum Symbol der Jungfrau Maria und deshalb ist er als ihr pflanzlicher Begleiter auf zahlreichen mittelalterlichen Tafelbildern zu sehen.

An die 500 bis 600 Volksnamen werden dem Löwenzahn im deutschsprachigen Gebiet zugeordnet – keine andere Pflanze ist in unseren Breiten unter so vielen Namen bekannt! Seine gezähnten Blätter verhalfen dem Korbblütler zu seinem gebräuchlichen Volksnamen „Löwenzahn“, die filigranen Samenstände, die sich beim leichtesten Windhauch in alle Himmelsrichtungen verteilen, sorgten für den Beinamen „Pusteblume“. Auf seine harntreibende Wirkung hingegen verweist der Volksname „Bettseicher“, im Französischen kennt man ihn als „pissenlit“ („Bettpinkler“). Bereits im 16. Jahrhundert empfahl der deutsche Apotheker Jakob Dietrich von Bergzabern, auch bekannt als Tabernaemontanus, den Wirkstoff des Löwenzahns „wider die Brunst des Magens und der Leber, sie eröffne die Verstopffung derselben, vertreibe die Harnwinde und treibe den Harn gewaltiglich“. Der botanische Gattungsname (Taraxacum) leitet sich wohl von dem arabischen Wort „tarakshaqum“ (= „bitteres Kraut“) her. Apropos bitter: Der Löwenzahn ist reich an Bitterstoffen. Das Passahfest der Juden kennt den Löwenzahn als eines der möglichen so genannten „Bitterkräuter“ („Maror“), die bei dem Festritus am Sederabend eine wichtige Rolle spielen und an die bittere Zeit erinnern sollen, als die Israeliten in Ägypten versklavt waren.

Im Volksglauben wurde der Löwenzahn häufig als Orakelpflanze verwendet: War der Blütenboden, an dem die Samenstände hingen, weiß, so war das ein gutes Vorzeichen, war er hingegen schwarz, so stand Unheil bevor. Und wenn an den Kleidern eines Menschen die kleinen Löwenzahn-Schirmchen hingen, zeigte dies seine Sündhaftigkeit an. Ausgegrabene Wurzeln, Blätter und Amulette der Pflanze sollten vor Augenleiden und Zahnschmerzen schützen. Wer die ersten drei Löwenzahnknospen verspeiste, die er fand, blieb angeblich während des restlichen Jahres von jeglicher Krankheit verschont. Egal, ob man derlei Dinge glauben mag oder den Löwenzahn lieber für die Wildkräuterküche verwenden möchte – in jedem Fall kann man sich in diesen Tagen an den wunderschön leuchtenden gelben, Blüten des Löwenzahns und seinen zarten Samenschirmen erfreuen!

„Löwenzahn, Löwenzahn
Zünde deine Lichtlein an,
Lichtlein auf der Wiese!
Pust ich alle Lichtlein aus,
Dunkel wird’s im Wiesenhaus.
Tausend Fünklein fliegen fort,
Blühen an einem anderen Ort:
Löwenzahn, Löwenzahn,
Nächstes Jahr hebt‘ wieder an!“

(Kinderlied von Kurt Kölsch)

 

Weitere Volksnamen des Löwenzahns: Augenmilch, Augenwurz, Bärenzahnkraut, Bayrischer Enzian, Beddschissa, Bettpisser, Blindblume, Brummer, Butterblume, Butterstecker, Eierkraut, Franzosensalat, Hahnenspeck, Hundeblume, Judenblume, Kettepösch, Kettenblume, Kuhblume, Kuhlattich, Kuhscheiß, Laternenblume, Lichtbloom, Märzblume, Maiblume, Marienzahn, Melkdistel, Milchdistel, Milchkraut, Milchstöck, Pappenstiel, Pfaffenkopf, Pfaffenplatte, Pferdeblume, Pissblume, Pusteblume, Röhrlkraut, Schäfchenblume, Schweineblume, Saurüssel, Sonnenwurzel, Teufelsblume  …