Wenn man die „Rose von Jericho“ (Anastatica hierochuntica) betrachtet, sieht sie wie vertrocknetes, graubraunes Gestrüpp aus. Doch legt man sie in ein Schälchen mit Wasser, erwacht die Wüstenpflanze, die jahrelang ohne Wasser und Erde auszukommen imstande ist, zu neuem Leben. Zuhause ist die als heilige Pflanze verehrte Rose von Jericho in den Wüstenlandschaften Jordaniens, des Sinai, Israels sowie in Nordafrika.
Angeblich hat Maria sie in der Hand gehalten, als sie mit dem Jesuskind auf der Flucht vor den Häschern des Herodes nach Ägypten floh. Dabei habe sie die Pflanze gesegnet und ihr damit zu ewigem Leben verholfen. Anderen Legenden zufolge habe Maria sie bei der Geburt Jesu in ihrer Hand gehalten. Die Ägypter nennen die Rose von Jericho daher „Kaff Maryam“, was übersetzt „Handballen der Maria“ heißt, die Algerier kennen sie als „Id Fatma Bint el Nabi“, also „Hand der Fatma, Tochter des Propheten“. Zu uns nach Europa gelangte die Pflanze durch Kreuzritter, die von den Kreuzzügen in ihre Heimatländer zurückkehrten. Auch viele Pilger, die ins Heilige Land gereist waren, brachten von dort eine Rose von Jericho als Erinnerung mit nach Hause. Ein Gedicht des märkischen Dichters Friedrich Brunold hat diesem Brauch literarisch ein Denkmal gesetzt. In ihrem Ursprungsgebiet wurden die getrockneten Pflanzen auch ganz praktisch als Anzündhilfe für Feuer verwendet. So berichtete der Pilger Hans Tucher von seiner Reise in einem Reisetagebuch von 1482: „Do selbst wachsen vil der blumen die man bey uns rosen von iericho nennet. die an der cristnacht auff geen da mit wir offt unser feuer schurten. da bey zu kochen. wan man nit holtz an dem ende hat sunder allein kleine stauden.“
Auch als Orakelpflanze wurde die Rose von Jericho verwendet. In Südwestdeutschland und der Schweiz ließ man sie an Weihnachten in einem Glas ergrünen und wenn das gelang, galt die wiedererwachte Rose von Jericho als gutes Omen für reiche Ernten und gutes Wetter im neuen Jahr.
Noch heute wird der „Handballen Marias“ übrigens in der arabischen Volksmedizin als Hilfsmittel bei Frauenleiden und männlicher Impotenz genutzt, auch wenn die Wirksamkeit pharmakologisch bislang nicht nachzuweisen war. Da erfreuen wir uns doch lieber mitten im Winter des Wunders, dass etwas scheinbar Lebloses nur mit ein wenig Wasser wieder zu neuem Leben erwachen kann! Ob die Pflanze zu Füßen der Maria auf Caravaggios Gemälde „Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ wohl eine Rose von Jericho darstellen sollte?
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Michelangelo Merisi da Caravaggio: Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (1594–1596), Quelle: Wikimedia Commons